Arzneimittelversorgung und Pharmastandort stärken bevor der Zug abgefahren ist

Dr. Kai Joachimsen · Hauptgeschäftsführer BPI – Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e. V. (BPI)
Dr. Kai Joachimsen

2023 war das Jahr der Lieferengpässe und zugleich der verpassten Chancen. Als plötzlich Kinderarzneimittel betroffen waren, konnte es gesetzestechnisch gar nicht schnell genug gehen. Wir konnten die Politik überzeugen, dass es einen klaren Zusammenhang zwischen zu niedrigen Preisen, Marktverengung und Lieferengpässen gibt.

„Wir haben es mit der Ökonomisierung übertrieben. Die Krankenkassen haben die Preisspirale überdreht und dafür gesorgt, dass immer nur die allerbilligsten Hersteller berücksichtigt wurden.“, erkannte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach richtigerweise. Und er nährte damit die Hoffnung auf einen großen Wurf, auf eine echte Reform in der Grundversorgung, welche bereits in der letzten Legislaturperiode – trotz gleicher Entwicklung – ausblieb. Leider lieferte der Minister nicht, denn die im Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) beschlossenen Einzelmaßnahmen bei nur etwa 1 % der in Deutschland zugelassenen patentfreien Präparate reichen als Gegenmittel nicht aus, um die Versorgungsprobleme für die Patientinnen und Patienten nachhaltig zu lösen. Insofern wird auch 2024 ein Jahr voller gesundheitspolitischer Herausforderungen. Die Hauptaufgabe bleibt: Die Arzneimittelversorgung in ihrer Breite sicherzustellen, und den für Deutschland und Europa enorm wichtigen Pharmastandort bei Forschung, Entwicklung und Produktion zu stärken. Wir müssen die Chance jetzt nutzen, bevor der Zug abgefahren ist.

Langfristige Pharmastrategie nötig

Die gesamte Pharmabranche braucht dringend verlässliche und auskömmliche Rahmenbedingungen – das sind wir unseren Patientinnen und Patienten schuldig. Und dazu sind wir mit dem Bundeskanzler und den verantwortlichen Bundesministerien im Gespräch. Um im Schulterschluss den Pharmastandort zu stärken und unser Land wieder zu einem besseren Land in der Gesundheitsversorgung zu machen. Wir brauchen eine durchdachte, wirksame und langfristige Pharmastrategie, die ein attraktives Umfeld für Investitionen in Forschung, Entwicklung und Produktion schafft. Wir waren in Deutschland einst führend in der Erforschung und Entwicklung bahnbrechender Medikamente, die dazu beitragen, Krankheiten zu lindern oder auch zahlreiche Krebsarten heilen zu können. Inzwischen können wir nicht einmal mehr zuverlässig die Grundversorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicherstellen, weil es hier jahrzehntelang nur noch darum gegangen ist, dass ein Medikament möglichst billig ist – und es war egal, wo es hergestellt wird. Wir haben uns mit deutscher Gründlichkeit überreguliert. Wenn ein Arzneimittel als Tagesdosis durchschnittlich 6 Cent erlöst, ist es kein Wunder, dass es da kaum noch Anbieter gibt. Geschweige denn welche, die in Europa produzieren. Und dadurch sind wir inzwischen in eine nicht mehr akzeptable geopolitische Abhängigkeit geraten. Das Problem ist nicht, dass auch in Asien produziert wird. Sondern das fast nur noch dort produziert wird. Das ist eine Situation, die sich nur noch mit einer dramatischen Verbesserung der Standortfaktoren lösen lässt. Und dazu braucht es eine durchdachte, wirksame und langfristige Pharmastrategie. Diese muss zum Ziel haben, ein Umfeld zu schaffen für Forschung, Innovationen und Investitionen sowie auskömmliche Marktbedingungen. Die pharmazeutische Industrie basiert auf den Grundlagen von Forschung, Innovation und Produktion, und wenn sie keine adäquaten Rahmenbedingungen mehr vorfindet, dann schadet das mittelfristig der gesamten Industrie und gefährdet letztendlich die Gesundheitsversorgung unserer Bevölkerung. Bei den hier aktuell gegebenen Rahmenbedingungen können viele Unternehmen in Deutschland weder Erfolg versprechend forschen noch auskömmlich produzieren. Zudem müssen wir in Deutschland dramatisch schneller werden, dringend Bürokratie und Überregulierung abbauen – und zwar jetzt, hier und heute. Die gesamte Branche braucht dringend verlässliche und auskömmliche Rahmenbedingungen. Das sind keine Aufgaben, die das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) allein lösen kann! Dazu braucht es auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und das Bundesministerium der Finanzen (BMF). Und insofern war es richtig und wichtig, dass wir uns mit den verantwortlichen Ministern sowie unserem Bundeskanzler getroffen haben, um gemeinsam und im Schulterschluss unser Land wieder zu einem besseren Land in der Gesundheitsversorgung zu machen. Wir haben hier in Deutschland schon viel zu viele Branchen verloren. Und hier müssen wir gegensteuern und das geht nur, wenn Politik und Industrie an einem Strang ziehen.

BPI geht Herausforderungen mit Schwung an

Als Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie werden wir uns mit dem neu gewählten Vorstand rund um den neuen Vorsitzenden Oliver Kirst auf die Kernthemen fokussieren und dafür sorgen, dass unsere politischen Interessen nicht nur wahrgenommen, sondern auch zur Durchsetzung gebracht werden, um Planungssicherheit und Verlässlichkeit für die pharmazeutische Industrie in ihrer Breite zu erreichen. Seit über 70 Jahren vertreten wir als BPI die Interessen unserer Mitglieder – und damit das Spektrum der gesamten Branche – auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene. Jetzt gehen wir die aktuellen gesundheitspolitischen Herausforderungen mit neuem Schwung an. Dabei sind uns folgende 7 Felder besonders wichtig:

Die gesundheitspolitischen Herausforderungen sind groß und wir werden auch in Zukunft mit allen wichtigen Partnern eng kooperieren. Wir haben viel Zuversicht, dass wir den Pharmastandort Deutschland und die Patientenversorgung gemeinsam stärken können und werden. 2024 muss ein Jahr der genutzten Chancen werden.

pharmind 2024, Nr. 1, Seite 4